Sonntag, 24. Juli 2011

"Die Tore der Welt" - Eine verspätete Rezension

Ken Follett
Die Tore der Welt
Roman
1294 Seiten
Lübbe Verlag 2008
ISBN 978-3-7857-2316-6
Euro 24,95

1990 war ein Glücksjahr für Leute, die historische Romane mögen: Ken Folletts Wälzer „Die Säulen der Erde“ war auf Deutsch erschienen, und man konnte herrlich über satte 1151 Seiten in die mittelalterliche Welt der Ritter, Bettler und Kathedralenbaumeister eintauchen. Rabenstein erinnert sich noch, wie er traurig wurde, als er die tausendste Seite erreicht hatte und ihm klar wurde, dass er sich auf der Zielgraden des Buches und seiner packenden Geschichte befand. Er würde Kingsbridge nun bald verlassen müssen.

2008 war ein Unglücksjahr für alle „Säulen“-Fans: Mit Ken Folletts „Die Tore der Welt“ war „die lang ersehnte Fortsetzung“ des 18 Jahre zuvor erschienenen Bestsellers angekündigt worden. Doch, abgesehen von derselben Location 200 Jahre später, von „Fortsetzung“ keine Spur.

War das „Säulen“-Buch ein reißender Fluss mit zahllosen Strudeln, gefahrvollen Untiefen und spektakulären Wasserfällen, der einen davontrug, den Atem nahm und zugleich erfrischte, ist das „Tore“-Buch ein endloses, träge vor sich hin dümpelndes Brackwasser, bei dem man sich zunehmend sehnlich wünscht, es möge sobald wie möglich im Nichts versickern. Doch das Ende – ein total abgeschmacktes Happy Ending – kommt erst nach zähen 1294 Seiten.

Der Held des Buches ist in diesem Fall eine Heldin, Caris, bei der während der Schilderung ihres Lebenslaufs kein Klischee, was Frauen in Mittelalterromanen betrifft, ausgelassen wird: Sie ist schön, klug, alle Konventionen sprengend, erfolgreiche Kauffrau, fortschrittliche Ärztin, sinnliche Geliebte, unorthodoxe Äbtissin, als Hexe verfolgte Unschuld und schließlich doch noch Partnerin jenes Merthin, der, anders als sein Vorfahre Jack Builder, keine Kirchen, sondern Brücken baut.

Alles in diesem Buch ist vorhersehbar. Spannung kommt kaum je auf. Und schließlich ist das Ganze, wenn überhaupt, katastrophal schlecht lektoriert. Einige Beispiele:

-          Für einen Adolphus wird ein Heiligenfest gefeiert, weil er Geburtstag hat. Heilige feiert man mit Ausnahme von Jesus, Maria und Johannes dem Täufer aber an ihren Sterbetagen.
-          Eine gewisse Petronilla wird mal als Mutter, mal als Tante bezeichnet.
-          Bergfried wird mit Burgfried verwechselt.
-          Die Hore Matutin taucht als „Matin“ auf.
-          Dass insbesondere in geistlicher Gesellschaft freitags vornehmlich Fisch und kein Fleisch gegessen wird, wird auf Seite 618 ebenso wenig beachtet wie der Umstand, dass im Klosterleben nach der Komplet (Seite 652) Nachtruhe, nicht aber Abendbrot angesagt ist. Und den auf Seite 1098 erwähnten abendlichen Imbiss am Karfreitag hätte es sicher sowieso nicht gegeben, ist das doch seit jeher ein strenger Fast- und Abstinenztag.
-          „Laudes“ ist der Plural von „Laus“, Lob, wird bei Follett aber durchweg im Singular gebraucht.
-          Wiederholt wird ein Bischof als „Eminenz“ angesprochen, was vornehmlich Kardinälen zusteht. „Exzellenz wäre korrekt.“

Die Liste ließe sich fortsetzen. Gewiss, letztlich alles nur Kleinigkeiten, aber die summieren sich und ärgern. Außerdem ist man von Ken Follett bessere Recherchen gewohnt.

Rabenais Fazit: Dieses Buch ist das ideale Geschenk für jemanden, den man nicht leiden kann. Es selbst zu lesen, sollte man sich ersparen.

Sonntag, 17. Juli 2011

A E I O U

Otto von Habsburg ist gestern in Wien in der Kapuzinergruft zu seiner letzten Ruhe gebettet worden. Nach einem Leben, das beinahe ein ganzes Jahrhundert durchschritten hat: Von der k. u. k. Monarchie über Zeiten des Exils während Demokratien (!) und Diktaturen bis hin zu einer Europäischen Union, die mitunter so tut, als sei sie eine Idee des 20. Jahrhunderts, und die dabei zumindest einige nicht ganz unwesentliche Aspekte des Heiligen Römischen Reiches geflissentlich übersieht. Aspekte, die untrennbar mit eben jenem Namen Habsburg bzw. Österreich verbunden sind. 

A E I O U - Austriae est imperare orbi universo. Oder wie der Wappenspruch der Habsburger auf deutsch heißt: Alls Erdreich ist Osterreich untertan. Gewiss, das ist längst Geschichte. Aber es bleibt eine große, verpflichtende Tradition, und diese hat Otto von Habsburg in Demut vor Gott auf sich genommen.

Was Demut vor Gott heißt, kann man erahnen, wenn man den Wortlaut der "Anklopfzeremonie" auf sich wirken lässt, die gestern in Wien, womöglich letztmalig, vor Betreten der Kapuzinergruft stattgefunden hat: 

(Zeremoniar klopft dreimal an die Pforte)

Kapuziner: „Wer begehrt Einlass?“

Zeremoniar: „Otto von Österreich, einst Kronprinz von Österreich-Ungarn, königlicher Prinz von Ungarn und Böhmen, von Dalmatien, Kroatien, Slawonien, Galizien, Lodomerien und Illyrien, Großherzog von Toskana und Krakau, Herzog von Lothringen, von Salzburg, Steyer, Kärnten, Krain und der Bukowina, Großfürst von Siebenbürgen, Markgraf von Mähren, Herzog von Ober- und Niederschlesien, von Modena, Parma, Piacenza und Guastalla, von Auschwitz und Zator, von Teschen, Friaul, Ragusa und Zara, gefürsteter Graf von Habsburg und Tirol, von Kyburg, Görz und Gradisca, Fürst von Trient und Brixen, Markgraf von Ober- und Niederlausitz und in Istrien, Graf von Hohenems, Feldkirch, Bregenz, Sonnenberg etc., Herr von Triest, von Cattaro und auf der Windischen Mark, Großwojwode der Wojwodschaft Serbien., etc., etc.“

Kapuziner: „Wir kennen ihn nicht!“

(Zeremoniar klopft dreimal an die Pforte)

Kapuziner: „Wer begehrt Einlass?“

Zeremoniar: „Dr. Otto von Habsburg, Präsident und Ehrenpräsident der Paneuropa-Union, Mitglied und Alterspräsident des Europäischen Parlamentes, Ehrendoktor zahlreicher Universitäten und Ehrenbürger vieler Gemeinden in Mitteleuropa, Mitglied ehrwürdiger Akademien und Institute, Träger hoher und höchster staatlicher und kirchlicher Auszeichnungen, Orden und Ehrungen, die ihm verliehen wurden in Anerkennung seines jahrzehntelangen Kampfes für die Freiheit der Völker, für Recht und Gerechtigkeit.“

Kapuziner: „Wir kennen ihn nicht!“

(Zeremoniar klopft dreimal an die Pforte)

Kapuziner: „Wer begehrt Einlass?“

Zeremoniar: „Otto – ein sterblicher, sündiger Mensch!“

Kapuziner: „So komme er herein!“

Sonntag, 10. Juli 2011

Peter Gan

Richard Moering ist 1894 in Hamburg geboren worden und achtzig Jahre später dort gestorben. Doch sein Leben hat er über weite Strecken anderswo gelebt: in England, Frankreich, Spanien und abermals in Frankreich. Eines seiner Leben. Denn neben dem Juristen Dr. Moering gab es fast immer auch den Dichter Peter Gan. Und den gilt es wiederzuentdecken.

Gan gilt als schwer einzuordnen, und ich bin mir nicht sicher, ob man nicht zu kurz springt, wenn man ihn als lyrischen Humoristen in die Ahnenreihe Laurence Sterne, Jean Paul und Christian Morgenstern stellt. Doch wie diese steht auch Gan mit ironischen Vorbehalten seiner Zeit gegenüber, besitzt er ein gebrochenes Verhältnis zur Sprache, bedient er sich des Zitats und der Anspielung. Ganz unvergleichlich ist er allerdings, wenn sein melodischer Witz im Schreck verstummt und unvermittelt erkaltet.

Vor einiger Zeit hat Friedhelm Kemp die gesammelten Werke Gans im Auftrag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung Darmstadt in drei voluminösen Bänden im Göttinger Wallstein Verlag herausgebracht. Sehr verdienstvoll, aber mit ihren beinahe 1.600 Seiten ist diese Edition wohl doch eher etwas für bereits fortgeschrittene Gan-Enthusiasten.

Ich hatte heute Mittag das Glück, auf einem Berliner Flohmarkt seine "Holunderflöte" zu entdecken. 1949 im Zürcher Atlantis-Verlag erschienen, bietet der Band auf gut 200 Seiten Lyrik aus der (fast noch) Vor-Gruppe47-Epoche. Kurz: Es macht Freude, sie zu lesen.

Besonderen Spaß macht dies in meiner Ausgabe, die nicht nur ein Widmungsexemplar von Peter Gan ist, sondern der auch noch ein persönlicher Brief und zwei handschriftliche Stichwortzettel für einen Vortrag des Autors beiliegen.

Das Ganze hat mich 50 Cent gekostet. Glück muss man haben!

Hier nun noch eine Kostprobe - speziell für die letzten vielleicht noch verbliebenen Raucher; der Fünfzeiler nennt sich nämlich "Die Zigarette spricht":

Trinke, Mund, mein kurzes Leben!
Wandle alle Glut in Rauch!
Gerne lasse ich mein Leben,
tut Dein Mund doch, liebes Leben,
Dein Mund meinen letzten Hauch!

Freitag, 8. Juli 2011

Das Gegenteil von "Gut gemacht" ist "Gut gemeint"

Das aus meiner Sicht sehr ehrenwerte "Forum deutscher Katholiken" trommelt zurzeit für eine Unterschriftensammlung, die Monika Grütters auffordert, ihr Bundestagsmandat niederzulegen.

Der Grund: Die CDU-Frau hatte eine vermutete "Nähe" des künftigen Berliner Erzbischofs Dr. Rainer Maria Woelki zu der 1928 vom heiligen Josemaria Escriva gegründeten katholischen Personalprälatur Opus Dei als "verheerend" disqualifiziert.

Ich halte die gut gemeinte Aktion des FdK-Vorsitzenden und Nicht-Opus-Dei-Mannes Professor Gindert für ausgesprochen kontraproduktiv.

Erstens ist sie aller Wahrscheinlichkeit nach eh zum Scheitern verurteilt. Zweitens aber, und das wäre schlimmer, sollte sie wider Erwarten Erfolg haben, könnte sich Grütters als Märtyrerin und Opfer des "mächtigen" Opus Dei gerieren. Und das würde dem Werk mehr als das Dummgerede einer CDU-Hinterbänklerin schaden.

Besser wäre es aus meiner Sicht, wenn das Opus Dei jetzt der Stier bzw. ('tschuldigung) die Kuh bei den Hörnern packte, und sie zu einem Infogespräch und Kennenlerntermin einlüde.

Donnerstag, 7. Juli 2011

Nie wieder "Nie wieder!"

Heute hat sich die Bundesrepublik Deutschland, der Staat, in dem ich geboren worden bin und den ich achtete und liebte, als in nie für möglich gehaltener Weise "traditionsbewusst" entpuppt.

Eigentlich hätte mir schon vor Jahren etwas schwanen können, als man damit begonnen hat, die Bundeswehr, unsere Defensivarmee zu missbrauchen, um "unsere Sicherheit am Hindukusch zu verteidigen". Trotz der entsetzlichen Erfahrung zweier katastrophaler Weltkriege in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und eines 1945 sicher ernst gemeinten "Nie wieder!", schickte man deutsche Soldaten in einen (fremden) Krieg. Dort töten und sterben sie nun, unsere "Bürger in Uniform".

Nachdem man dieses Tabu gebrochen hatte, konnte sich unser Parlament nun einem anderen "no go" zuwenden, das mit seinen 66 Jahren offenbar reif für das Altenteil war: die Selektion lebensunwerten Lebens.

Nichts anderes ist PID, eine für 97 Prozent der untersuchten befruchteten menschlichen Eizellen sowieso tödliche Untersuchung, mithilfe derer festgestellt werden soll, ob das später ausgetragene Kind z. B. mongoloid sein könnte. Falls ja: weg damit.

Es ist absehbar, dass ein Parlament, das trotz schlimmster diesbezüglicher historischer Erfahrungen einen solchen den Lebensanfang betreffenden Eugenik-Beschuss fasst, sich irgendwann auch mit der Entsorgung hinfälliger Menschen an deren Lebensende "beschäftigen" wird.

Das "Nie wieder!" von 1945 ist Geschichte. Willkommen in der schönen neuen Welt!